Auf den ersten Blick erscheinen sie nicht als Kostbarkeit: Die Muschelornamente in der barocken Stuckdecke der Lukaskirche. Nur wer den Blick nach oben richtet, entdeckt, dass sie die Decke verzieren. In der Barockzeit wurden Muscheln nur noch zu Dekorationszwecken verwendet. Ihr ursprünglicher Sinn war verloren gegangen.
Dabei handelt es sich bei der Muschel um ein ganz altes christliches Symbol. Muscheln wurden bereits in der Frühzeit des Christentums als Erkennungszeichen von den Christen in den frischen Mörtel der zugemauerten Grabnischen in den Katakomben eingedrückt. Dies hängt mit der symbolischen Deutung zusammen, die man ihnen gab: Man verstand die Muschel als Bild des Grabes Jesu, das die „kostbare Perle“, den Herrn, fest verschließt, aber in der Auferstehung mit Gewalt gesprengt wird. So ist die Muschel eigentlich ein Auferstehungssymbol, das oft in der christlichen Kunst zu finden ist. Weil das Symbol der Muschel so wichtig war, trugen auch die Wallfahrer zum Heiligen Grab im Mittelalter Muscheln an ihren Gewändern. Als ihr Schutzpatron galt schon früh Jakobus der Ältere, einer der zwölf Jünger Jesu, der als einer der ersten den Märtyrertod starb. Nach dem evangelischen Namenskalender feiern wir alljährlich am 25. Juli den Gedenktag des Apostels Jakobus. Die Legende erzählt von ihm, er habe auch in Spanien gewirkt und dort große Taten vollbracht. Deshalb sei sein Leichnam nach seinem gewaltsamen Tod nach Nordspanien gebracht und in Santiago de Compostella beigesetzt worden. Neben Jerusalem und Rom wurde dieser Ort dann im Mittelalter zum beliebtesten Wallfahrtsziel und Jakobus wurde zum Vorbild aller Pilger- und Wallfahrer - ein Zeuge dafür, dass wir uns alle hier auf Erden zwischen Geburt und Tod auf einer Pilgerschaft befinden: auf der Wanderung in Gottes Ewigkeit.
Es gibt kaum eine Jakobus-Darstellung in der christlichen Kunst, bei der die Muschel fehlt. Oft ist der Hut des Apostels damit geschmückt. Sie wurde zum Erkennungszeichen der Wallfahrer. Das Fleisch der Muschel konnten sie essen; die Muschel selbst als Schöpf- und Trinkgerät gebrauchen. Auch der fränkische Jakobsweg zwischen Nürnberg und Rothenburg - er wird heute von vielen Menschen begangen - ist ausgeschildert mit einer weißen Muschel auf blauem Grund, demselben Motiv, das an unserer Kirchendecke zu finden ist.
Dort sind die Muschelornamente an vier Seiten angebracht. Das ist wie eine Botschaft: Christi Auferstehung ist zu verkündigen in alle Himmelsrichtungen „bis an das Ende der Erde“ (Apostelgeschichte 1,8). Nehmen wir doch diese Botschaft mit auf unseren Weg und erinnern wir uns immer daran: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebräer 13,14).
Dr. Walter Zwanzger